Oliver Wille im Interview: Was macht eigentlich Kuss@Kokon?

Was haben ein Streichquartett, Tanz, Poetry Slam, Schlagzeug und elektronische Musik gemeinsam? Wir haben mit Oliver Wille, Violonist des Kuss Quartetts, darüber gesprochen, was wir von ihrer Performance am Dienstag, 9. April, erwarten können.

Kuss@Kokon bewegt sich als Projekt sozusagen zwischen den Welten. Können sie in Ihren Worten kurz beschreiben, was am Dienstag, 9. April, auf der Burghof-Bühne passieren wird?
Wir haben das große Glück, seit 2002 auf den internationalen Konzertpodien spielen zu dürfen. Jana Kuss und ich gründeten das Quartett, als wir 14 Jahre alt waren. Getrieben hat uns vor allem eigentlich immer Neugierde. Wir wollten Wege finden, das vermeintlich bürgerlich-spießige Streichquartett vom Sockel zu holen. Denn vor 20 Jahren gab es kaum voneinander verschiedene Konzertprogramme, es wurden die immer gleichen und leicht verstaubten Sandwichformate, sprich Klassik/ ein bisschen modern, d.h. wenn‘s gut läuft Bartók/ der große Romantiker gespielt. Das schien am besten mit Gästen zu gelingen, die wir beispielsweise in unsere „KussPlus“ Reihe im Berliner Techno Club einluden. Dort bauten wir Abende, bei denen verschiedene Kunstformen sich auf Augenhöhe begegneten, kein Crossover! Unser „Philharmonie-fernes“ Publikum kannte weder Mozart noch Kurtág, also konnten wir loslegen und ohne Hemmschwelle jedes Mal ein völlig anderes Programm entwerfen. Was für eine tolle Herausforderung! Und welch ein Vergnügen! Das ist lange her, seitdem gab es viele andere Formate, die wir abenteuerlustig auf Bühnen bringen konnten, Konzeptprogramme ohne Gäste, Zusammenarbeit mit der Kompanie „Nico and the Navigators“, literarische Abende mit Udo Samel, Quartett und Slam Poetry, Auftragswerke usw… Im Laufe der Jahre kristallisierten sich Lieblingsgäste heraus, die wir 2021 – also während des Lockdowns – zu einem Kollektiv zusammen brachten. Das ist das Projekt Kuss@Kokon.

Was passiert auf der Burghofbühne? Ich glaube, etwas wirklich verrückt Neues. Streichquartett, Tänzer, Percussion, Elektronik und Slam Poetry: Wir machen alles zusammen, in allen denkbaren Kombinationen, von Klassik bis Jetzt, durchbrochen, zusammengefügt, verkürzt, ergänzt und zum Teil überraschend gewendet … Es ist bestimmt ein Abend des Unerwarteten, dem man sich hingeben kann, an dem man sich aufreiben kann, für den man sich begeistern kann und bei dem wir alle gemeinsam Neues erfahren werden.


Die Programm-Komponenten können ja kurzfristig ausgewählt und sozusagen zusammengesetzt werden. Wie kurzfristig geschieht das und welche Kriterien spielen bei der Auswahl eine Rolle?
Ja, wir passen die einzelnen Teile des Programms an die Gegebenheiten des Spielorts an, reagieren auf die Erfahrungen, die wir seit dem letzten gemeinsamen Abend gemacht haben und dürfen so auch neue Ideen, neue Stücke, andere Gedichte, neue Zusammenstellungen einbringen. Ein Konzertprogramm für Streichquartett muss 2 Jahre im Voraus den Veranstaltern mitgeteilt werden, weil die Abonnenten wissen wollen, was gespielt wird. Sie kennen die Werke. In unserem Projekt kennt man sie so nicht, oder sogar nicht mehr bzw. noch nicht. Die Kombination ist ohnehin einmalig, also können wir spontan sein. Ein Luxus und gut für die eigene Frische!


Inspirationsquelle sind für Musiker meist andere Musiker, für Tänzer andere Tänzer usw. Finden Sie im direkten Zusammenspiel mit anderen Sparten auch Inspiration in Wort, Tanz und mehr?
Unsere Idee, als wir damals mit Sondergenehmigung in Berlins Uferstudios zusammen hockten und Dinge probierten, war: Jeder wirft etwas Eigenes und Mitgebrachtes in den Ring, und wir schauen, was die Beiträge miteinander machen können. Wir wollten Kurzmodule bauen, die man - je nach Ort, Thema, Festival und Idee - unterschiedlich zusammen setzen kann. Das heißt, es gibt fertige Teile, die inszeniert und erprobt sind, die aber gleichzeitig in unterschiedlichen Räumen, oder hintereinander in einem Raum, digital oder live, in anderer Dramaturgie oder Reihenfolge passieren können. Je nachdem, wo wir sind und was wir zwischenzeitlich erlebt haben, auch für wen wir spielen.


Und wie kann man sich diesen Prozess des Austauschs vorstellen?
Zum Beispiel: Unser Schlagzeuger Johannes Fischer spielt ein Solowerk, dazu fällt dem Slam Poeten eine Textzeile ein, er spricht sie rein. Das inspiriert die Tänzer, sich dazu mit ihren Körpern zu verhalten. Funktioniert das auch, wenn Johannes nicht spielt, also nur der Text bleibt und die Bewegungen. Was passiert, wenn jetzt Johannes dazu was anderes spielt, oder wir als Quartett einsteigen? Oder, wir spielen ein Auszug eines Quartettsatzes. Plötzlich wird in stillen Momenten ein Synthesizer eingesetzt, oder Bas Böttcher flüstert einen Text in ein Quartett. So probiert man sich durch, bis eine Variante richtig erscheint. Das heißt nicht, dass es alles „passen“ muss. Gerade Irritationen können eine unheimliche künstlerische Kraft entfalten.


Das absichtliche Stören scheint in ihrem Programm ebenso Teil wie das harmonische Miteinander. Wieso kann gerade das bereichernd sein?
Für mich braucht ein gutes Programm unbedingt Brüche. Es gibt nichts Langweiligeres als vorhersehbare Abläufe. Der Briefwechsel von Clara Schumann mit Johannes Brahms und dazu deren Musik - grauenhaft! Vielmehr stellt sich doch die Frage: Was hat das, was wir machen eigentlich mit uns heute zu tun? Natürlich sind die Beethoven Quartette in ihrer Dramaturgie und komponierten Psychologie noch immer gültig, gehören genau so und unangetastet. Oder darf man sie doch mal manipulieren, auch, um zu finden, dass man sie lieber ungestört hören sollte? Was passiert mit unserer Hörerwartung, wenn wir plötzlich krass abbrechen und unvermittelt etwas anderes machen? Welche Sehnsüchte würde das auslösen? Oder bleiben wir unberührt und sind nur genervt? All das auszuloten, zu hinterfragen und in eine aktuelle Form zu bringen: Das ist unser Abenteuer und unsere kreative Energie dieser Momente, die wir gern (mit)teilen möchten, um etwas Faszinierendes, auch Unerklärliches zu erleben.

Mit Oliver Wille sprach Ingmar Lorenz, Pressesprecher des Burghofs Lörrach.